Kollektiver Erschöpfungsmodus
Dieser Newsletter hat lange auf sich warten lassen. Der Grund ist, dass ich mich seit einiger Zeit – mal wieder – in einem Erschöpfungsmodus befinde. Irgendwie schaffe ich es dennoch im Alltag zu funktionieren, was einerseits gut ist und andererseits natürlich nicht dazu beiträgt, dass sich etwas grundlegendes (ver-)ändert. Ich weiß, dass ich damit nicht alleine bin, denn dieser Erschöpfungszustand ist kollektiv. Genau das macht es auch so schwer Aufgaben abzugeben oder sich Hilfe zu suchen, weil die Last am Ende nicht gerecht verteilt wird. Vielmehr ist es so, dass jene, die viel zu tragen haben, noch mehr aufgebürdet bekommen. Klar, die Situation in einer Pandemie zu leben, trägt ihr eigenes dazu bei. Ein Tag gleicht dem anderen und es fühlt sich an, als würde man sich in einem endlosen, langen Tunnel befinden, das Ende nicht in Sicht. Das frustriert. Das macht müde. Das macht wütend.
Ich sehne mich, genau wie andere auch, nach einem „normalen“ Alltag. Ich möchte so gerne wieder einfach spontan ins Kino gehen oder mit Freund*innen gemütlich einen Abend in einer Bar verbringen. Ich habe es satt in einer Pandemie zu leben. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass wir uns nun leider ganz real in einer Pandemie befinden. Dass sich das Virus – ohne Gegenmaßnahmen - exponentiell verbreitet und dass das unser gesamtes Gesundheitssystem zusammenbrechen lassen würde. Es ist ja seit einem Jahr(!!!) bereits so, dass Pflegekräfte und Ärzte*innen (sowie andere Menschen in systemrelevanten Berufen) an ihre Grenzen kommen und derzeit appellieren die Intensivmediziner*innen mal wieder in einen schärferen Lockdown zu gehen, weil die Zahlen rasant ansteigen. Die Stimmen, die gegen einen Lockdown sind, werden immer lauter und sie kommen aus allen Richtungen. Ja, es geht jetzt wirklich ans Eingemachte und die gemeinschaftliche Kraft von vor einem Jahr, als wir noch von „flatten the curve“ gesprochen und uns gegenseitig Solidarität zugesprochen haben, scheint zu schwinden. Die versprochenen Hilfen der Regierung lassen auf sich warten, während große Konzerne gerettet werden und aus der Pandemie noch Profit herausschlagen. Frauen und Mütter tragen die Hauptlast in dieser Zeit, denn es sind vor allem sie, die die Betreuung und / oder das Home-Schooling mit Arbeit bzw. Home-Office vereinbaren müssen. Menschen und Familien, die sich vor der Corona-Pandemie schon in einer prekären Situation befunden haben, sind von den Auswirkungen der getroffenen Maßnahmen noch viel stärker betroffen, als jene, die in eher sicheren Verhältnissen leben (was im Umkehrschluss nicht bedeutet, dass letztere nicht auch leiden würden).
In den letzten Wochen ist eine Art von Leere bei und in mir entstanden, die nicht richtig mit Ideen und Kreativität ausgefüllt werden konnte. Nicht, weil es etwa an Ideen mangelt, sondern weil die Kraft fehlt. In meinem Kopf ist alles vorhanden, all die Ideen müsste ich „nur“ in Texte oder in Aktionen umwandeln. Und immer wenn ich die Zeit dafür hätte, schaltet sich der Körper in einen Ruhemodus, um den Akku für das Funktionieren im Alltag aufzuladen. An diesem Text schreibe ich beispielsweise seit Tagen, unterbreche die Tätigkeit des Schreibens immer wieder, um andere Dinge zu erledigen oder um zu schlafen. Meine kreative Denkkraft kann sich die Bahn nach außen aktuell nicht richtig frei schaffen, weil zu viele Baustellen vorhanden sind.
In den sozialen Netzwerken halte ich mich nur noch wenig auf. Seit mehreren Wochen bin ich lediglich eine passive Userin und selbst das Lesen einzelner Texte strengt mich mittlerweile an. Die destruktiven Diskussionen innerhalb der sozialen Medien machen etwas mit mir, sie zehren enorm an meinen Kräften, selbst dann wenn ich sie nur lese. Ich vermisse es gerade nicht inmitten jener Debatten zu sein. Hatte ich doch immer die Hoffnung gehabt Menschen mit sachlichen und fundierten Argumenten zu erreichen, bin ich heute eher skeptisch geworden. Die Diskussionen in den sozialen Medien sind meist so voller Hass, so voller Verachtung und genau das sollen sie auch sein. Würden sie sachlich und respektvoll sein – was ja auch immer mal wieder tatsächlich vorkommt – bekommen wir das kaum mit, weil sie zu wenig Reichweite bekommen.
Hatte ich doch die Hoffnung, Menschen in den sozialen Netzwerken mit meinen Texten zu erreichen, bin ich nach nur zwei Jahren müde. In der Retrospektive habe ich viele Ressourcen in diese, teils unsichtbare, Arbeit investiert und kaum etwas zurückbekommen. Im Gegenteil, ich habe regelmäßig (für die allermeisten ebenfalls unsichtbar) Anfeindungen erlebt. Mir wurde schnell klar, dass das Geschäft im Netz knallhart ist, dass ein enorm hoher Konkurrenzdruck vorherrscht und dass es schwer ist überhaupt Fuß zu fassen. Ich wollte nie als Person im Mittelpunkt stehen, vielmehr sollte es um die Sache – also darum für eine gerechtere Gesellschaft zu kämpfen - gehen. Es mag vielleicht kitschig klingen, aber ich hatte die Hoffnung mich mit anderen Feminist*innen zu verbünden, mich ihnen anzuschließen und Teil einer Bewegung zu sein. Würde mich heute jemand fragen, ob das geklappt hat, könnte ich keine eindeutige Antwort darauf geben. Ja und Nein würde ich vielleicht sagen und das lag nicht ausschließlich an den anderen. Ich habe ganz klar auch Anteile an diesem Scheitern, wenn man es denn so nennen mag, gehabt. Ich bin manchmal einfach zu zaghaft, habe oft die Sorge zu aufdringlich zu wirken und möchte so wenig wie möglich als Einzelperson im Vordergrund stehen. In den sozialen Netzwerken sind all diese Komponenten aber wichtig und – auch wenn ich es immer wieder versucht habe – spüre ich, dass ich das nicht bin. Ich möchte weder in eine Handykamera sprechen, noch möchte ich ständig irgendwelche Fotos von mir posten, das würde sich nicht authentisch anfühlen
Ich möchte damit nicht ausdrücken, dass alles was in den sozialen Medien passiert per se schlecht ist, denn ich habe in der Tat eine kleine Anzahl von Personen kennengelernt, von denen ich viel gelernt und durch sie ich auch teilweise meine bisherigen Positionen neu bewerte habe. Es gibt Einzelpersonen, Gruppen oder Vereine, die verdammt gute Arbeit im Netz leisten. Sie schreiben, sie recherchieren, sie klären auf und ich habe großen Respekt vor all diesen Menschen, die hinter den Accounts oder den Blogs stehen. Nur – und da spreche ich für mich ganz persönlich – ist es nicht „meine“ Arbeit, die ich (weiter) machen möchte. Zumindest nicht so wie bisher.
Seit meiner Auszeit bzw. seit meinem Rückzug aus den sozialen Netzwerken ist mir eines klar geworden: Ich vermisse nichts. Ich vermisse es nicht, meine Texte in eine App reinzuschreiben. Ich vermisse es nicht, mich in (destruktiven) Diskussionen zu befinden. Ich vermisse es nicht, dass irgendwas, das ich geschrieben habe, geliked wird. Doch an meinem Vorhaben für eine gerechtere Gesellschaft einzustehen und aktiv dafür etwas zu tun, hat sich nichts verändert.
Es ist allerdings sehr schwer in einem Erschöpfungsmodus etwas zu verändern. Alleine für die Bewältigung des eigenen Alltags - (Lohn)Arbeiten gehen, unbezahlte Care- und Sorgearbeiten erledigen - gehen ja schon die allermeisten Ressourcen drauf. Da bleibt am Ende des Tages kaum mehr etwas übrig, weder Kraft noch Zeit, um die Welt zu retten. Das ist die Krux und das erschwert die Angelegenheit noch mehr. Und dann ist da immer die Hoffnung, dass man in naher Zukunft bestimmt wieder mehr Zeit zur Verfügung hat, weil dann dies oder jenes wegfällt. Der Erschöpfungszustand ist kollektiv, er ist in kapitalistischen Systemen hausgemacht und gewollt. Karl Marx hat bereits darüber gesprochen, dass Arbeiter*innen aufgrund der enorm hohen Arbeitsbelastungen in den Fabriken (körperlich) nicht in der Lage sind, sich gegen die Kapitalist*innen aufzulehnen. Neben der Kraft, die ihnen fehlt, haben sie auch zu viel zu verlieren. Das System hält sich durch ungerechte Strukturen selbst aufrecht. Und so ist es bis heute.
Dennoch: Die Hoffnung bleibt, das sich etwas verändern kann. Dass sich durch ein Kollektiv auch etwas verändern lässt. Ich trage diese Hoffnung tief in mir. Und ich glaube, das ist auch gut so, denn zu resignieren wäre fatal.
Bleibt solidarisch, herzlichst
Sandra